15 Apr. Tag 15
Neuer Ort, neue Impressionen…. Heute zog es mich in das nahegelegene Winchester, genauer gesagt in die Cathedral. Zu den allgegenwärtigen Schlaglöchern gesellten sich heute übrigens aufgrund eines relativ heftigen (aber gar nicht allzu langen) Regengusses große (tiefe!) Überschwemmungsgebiete zu den Gräben auf den Straßen, die das Navigieren insofern schwieriger machten, als dass man gar nicht mehr sah, wo man jetzt eigentlich lang fuhr und was der Untergrund machte. 30 Zentimeter tiefes Schlagloch oder nicht – das war ein ums andere Mal die Frage. Das machte das Fahren auf unangenehme Art und Weise noch spannender, als das ohnehin der Fall ist.
Aber, hey, am Ende wartete eine Belohnung, nämlich Winchester Cathedral. Diejenigen, die gestern aufgepasst haben, wissen ja schon, dass Winchester dereinst die Hauptstadt Englands war. Und die brauchte natürlich was Großes, Auffälliges.
Aber ganz ruhig und von Anfang an: Ein erstes christliches Gebäude wurde an der Stelle, wo die Kathedrale heute steht, schon im siebten Jahrhundert erbaut, vergrößert, verändert usw. Was man halt so mit einer Kirche macht. Eine ganze Reihe von Königen wurde hier bestattet (sie sollten ein paar hundert Jahre später noch eine unfreiwillig unrühmliche Rolle spielen).
Damit war dann allerdings Schluss, als William the Conquerer die Angelsachsen besiegte, die Hauptstadt nach London verlegte und alles Angelsächsische soweit wie möglich ausradieren wollte. Die Winchester Cathedral gehörte dazu. Also wurde abgerissen, neu gebaut und erweitert, so dass die Kathedrale zu größten Europas wurde. Es sollte schnell gehen, damit dieses Symbol der Macht und Stärke auch alle in aller Schnelle beeindrucken sollte. Das ging allerdings insofern schief, als dass ein paar Wände nach kurzer Zeit schon wieder einstürzten, da vieles schief und krumm gebaut wurde. Es musste also neu gebaut werden. Dieses Mal klappte es, allerdings mussten dabei die Nachbarn aus Frankreich helfen (was unter Umständen nicht allen gefallen hat. Wobei sich ja zeigt, dass das mit dem Bauen – Stichwort Straßen oder zugige Häuser der Jetztzeit – auch über eintausend Jahre später immer noch ein nicht bewältigtes Thema zu sein scheint. Zwinkersmiley.)
Jetzt waren alle einigermaßen glücklich, bis erst Henry VIII kam und alles, das irgendeinen Wert hatte, mitnehmen ließ und dann unter Charles I die Puritaner alles zerstörten, was gegen ihre Moralvorstellungen ging (Bilderverehrung in Kirchen, kirchlicher Prunk etc.) Also ritten sie in die Kathedrale ein (ja, ritten), öffneten die Särge der dort bestatteten Könige und warfen mit deren Überbleibseln (lese: Knochen) die großen bunten Kirchenfenster kaputt (hatte ich ja oben angekündigt: Sie würden eine unrühmliche Rolle spielen, die alten Könige). Als sich die Puritaner endlich ausgetobt hatten, sammelten die Bewohner Winchesters die Scherben und Knochen auf und versuchten alles wieder an Ort und Stelle zu bringen. Glas zu Glas, Knochen zu Knochen. Was nicht klappte. Die großen Fenster sind zwar wieder originalverglast, weil aber keiner wußte, wie man die Scherben wieder so zusammensetzen sollte, damit die original Motive wieder erkennbar waren, hat man sich anderweitig geholfen und die Scherben einfach irgendwie zu einem Mosaik zusammengesetzt:
Nun gab’s ja aber noch die wild verstreuten royalen Knochen. Alles, was an ihnen herumlag, wurde eingesammelt und in sechs dieser Leichentruhen gelegt (stehen oben auf der Brüstung). Durcheinander eben, DNA-Tests gab’s nicht und die Betroffenen selbst konnten nichts mehr sagen. 2015 haben Wissenschaftler:innen damit begonnen, die Inhalte aufzudröseln und die Knochen zuzuordnen. Mit großem Erfolg. Der ein oder anderen Schafs- oder Katzenknochen, der sich unter die royalen Überbleibsel geschmuggelt hatte, wurde aussortiert und jetzt hat alles wieder seine Richtigkeit. Seitdem ruhen die Königinnen und Königen wieder im Ganzen in ihren Truhen.
Neben Francis Francis (berühmter Angler seiner Zeit), einigen (vielen!) Bischöfen von Winchester und sonstigen Würdenträgern ist in Winchester Cathedral auch Jane Austen begraben. Eigentlich eher ungewöhnlich, da sie zu ihren Lebzeiten nicht bekannt war (sie publizierte ihre Bücher anonym, erst ihre letzten beiden, postum von ihrem Bruder veröffentlichten Bücher – Northanger Abbey und Persuasion -, wurden mit ihrem Namen veröffentlicht). Letztendlich ist es wohl weniger ihrem Ruhm (leider) denn ihrem Bruder, dem vermögenden Edward Austen Knight zu verdanken, dass sie in der Kathedrale bestattet ist (Geld hilft nicht immer, aber eben manchmal schon).
Die Kathedrale ist fraglos sehr alt und steht damit auch schon ein paar Tage dort, wo sie steht. Es trug sich Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings zu, dass es immer mehr krachte im Gebälk. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Der Untergrund des Gebäudes gab nach. Der Grund war schnell gefunden: Die Kathedrale hatte überhaupt kein nennenswertes Fundament. Man fand auch schnell heraus, warum: Der Wasserspiegel war so hoch, dass die Erbauer im Mittelalter keine Mittel hatten, in diesen ein Fundament zu bauen. Also ließ man es einfach ganz sein.
Das weiter zu ignorieren, hätte allerdings bedeutet, dass die Kathedrale irgendwann eingestürzt wäre. Also versuchte man, das ganze abzustützen. Was folgendermaßen geschah: Drei Taucher tauchten in zuvor ausgehobene Schächte ab, um die Wände mit Zement so abzustützen, dass die Senkung des Wasserspiegels (die notwendig war, bevor man die Kathedrale professionell abstützen konnte) die Wände nicht zum Einstürzen bringen würde.
Letztendlich blieb ein Taucher übrig, William Walker. Dieser arbeitete sechs Jahre daran, das Areal vorzubereiten, indem er erst Teile des Fundaments entfernte, um dort dann Zementsäcke anzubringen. Das tat er, wohlgemerkt, unter Wasser, in einem Taucheranzug, der damals ca. 90 kg wog, mit seinen Händen (Werkzeuge hätten gestört) und im Dunkeln. Sauerstoffflaschen gab’s noch nicht, also standen oben ständig zwei Menschen an einer Pumpe und versorgten ihn mit Sauerstoff. Nach sechs Jahren, 1912, war er endlich damit fertig.
Die Kathedrale allerdings bewegt sich immer noch, wie man hier hoffentlich erkennen kann (Neigung um 15 Grad. Scheinbar mehr als der Turm von Pisa 😳)
Ich hatte nach dem Besuch der Kathedrale noch ein wenig Muße, durch Winchester zu schlendern. Die Gegend um die Kathedrale ist nicht ganz so ‚verspielt‘ und niedlich, wie in Canterbury, sondern sehr viel geschäftiger. Die niedrigen Fachwerkhäuser prägen trotzdem das Bild und geben dem Ganzen einen mittelalterlichen Anstrich.
🥳 Fun fact (heute gleich zwei):
Dieser Herr (ein bei Elizabeth I in Ungnade gefallener Bischof) wurde in einer Nacht- und Nebelaktion und ohne Grabstein in der Lady Chapel begraben. Erst 1905, als man versuchte, die Fundamente der Kathedrale zu stützen, plumpste der in einer Art Zwischenboden bestattete Bischof auf die erstaunten Ingenieure.
Der Künstler dieses Fensters wurde von Prinzessin Beatrice, der jüngsten Tochter Königin Victorias, dafür gelobt, dass er ihre Mutter mit der Darstellung so gut getroffen habe (untere Reihe, zweites Fenster von rechts).
Sie, die Queen, wäre höchsterfreut darüber, meinte die Tochter. Ein Lob, das der Künstler mit zusammengekniffenen Lippen entgegennahm. Er hatte Königin Victoria nie gesehen und ihr Abbild am Aussehen seines Kochs orientiert (leider sieht man die Gesichtszüge auf dem Photo nicht. Blödes Licht. Ihr müsst mir daher glauben, wenn ich Euch sage, dass die Person wirklich aussieht wie Victoria).











