14 Apr. Tag 14
What a day! Where to begin?
Am besten am Anfang. Heute bin ich weitergezogen und wohne jetzt in Selborne, weiter nordwestlich von Steyning.
Während ich auf dem Weg dorthin so vor mich hinfuhr und versuchte, den tiefsten der Schlaglöcher so auszuweichen, dass ich dabei nicht im nächsten landete, sinnierte ich darüber nach, wie man sich hier in der Gegend, in der ich unterwegs bin, überhaupt ohne Navi zurechtfindet.
Es gibt kaum Richtungsschilder und bei einigen Straßen, auf die mich mein Navi schickt, bin ich mir nicht sicher, ob es sich nicht um die Einfahrt zu einer Farm, einem Waldstück oder dem Mond handelt. Stellt sich dann immer heraus, dass dem nicht so ist und ich tatsächlich auf irgendeiner Straße lande. Aber wie weiß man das, wenn man hier nicht wohnt? Oder auch wenn man hier wohnt? Ist das Geheimwissen, über Generationen weitergegeben im Rahmen urzeitlicher Rituale? Zugänglich nur Eingeweihten?
Ich kam also gut und ohne allzuviele Umwege (glaube ich zumindest) an und fuhr gleich, weil ich noch zu früh zum Check-In war, ins Chawton House.
Das Chawton House gehörte dem Bruder Jane Austens, so dass sich hier zwei meiner Lieblingsinteressen treffen würden: Geschichte und Literatur.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Gleich auf dem Weg zum Haus stellte sich mir eine kleine Kirche mit altem Friedhof in den Weg. (Die, die mich besser kennen, wissen, dass es bei alten Friedhöfen für mich kein Halten gibt.) Was soll ich sagen? BE-ZAU-BERND 🤩 Jane Austens Mutter und Cassandra sind hier bestattet.
Der Name ‚Knight‘ war auf dem Friedhof sehr präsent, ein Umstand, der sich noch aufklären sollte.
Im Haus selbst wurde ich, wie in all diesen Häusern, herzlich empfangen und ich hatte gleich meine persönlichen Guide, der mir sehr viel Hintergründe zu dem Anwesen an die Hand gab. Am spannendsten war die Geschichte, wie das Anwesen in die Hände von Edward Austen fiel, Janes Bruder.
Aaalso…. das heutige Anwesen wurde 1583 auf den Resten eines ehemaligen Jagdanwesens gebaut. Bis dahin hatten ein paar englische Könige immer mal wieder vorbeigeschaut, da es ganz praktisch auf dem Weg nach Winchester, der ehemaligen Hauptstand Englands, lag. Gebaut wurde das neue Anwesen von einem Großgrundbesitzer (ist vielleicht untertrieben. Ihm gehörte das gesamte Dorf), nämlich Nicholas Knight (ah, da ist er, der Name!) Dieser vererbt das Anwesen, wie sich das gehört, an den ältesten Sohn namens John. Nun passiert allerdings etwas, was die Dinge ein wenig verkompliziert: Die Knights pflanzen sich nur ungern fort. John hat keine Nachfahren, also kommt der jüngere Bruder zum Zug. Der hat immerhin einen Sohn, aber da ist dann auch schon wieder Schluss. Also kommt die Familie seiner Mutter zum Zug (Martin mit Namen), die sich dann aber in Knight umbenennt.
Etc. etc. So geht das ein paar Mal, bis schließlich Thomas Knight II auch keine Nachfahren hat und seinen Cousin zweiten Grades, nämlich eben diesen Edward Austen zum Erben einsetzt. Dieser wird daraufhin in der Gesellschaft eingeführt (die Knights hatte bis dahin ein Riesenvermögen angehäuft) und auf seine Aufgaben vorbereitet. 1794 schließlich erbt er alles und benennt sich ein paar Jahre später auch um. Er war nun genau das Gegenteil von den Knights: Zusammen mit seiner Frau Elizabeth hatte er zehn Kinder, sein ältester Sohn 16 Kinder. Von diesem Edward stammen die heutigen Besitzer übrigens ab.
Zwischendurch gab es eine Erbin, die nur deswegen zum Zug kam, weil ihre beiden Brüder verstarben: Elizabeth Knight, eigentlich Martin. Und sie setzt durch, dass a) sie die Rechte und Verfügungsgewalt über ihr Vermögen behält (bei weitem keine Selbstverständlichkeit im 18. Jahrhundert) und b) ihre beiden Ehemänner ihren Namen annehmen.
Jedenfalls war es dieser Edward Austen (bzw. Knight), der seiner Mutter und seinen Schwestern Jane und Cassandra ein Anwesen um die Ecke von Chawton House zur Verfügung stellte.
Und was gab es nun zu sehen? Zuallererst: Das Haus ist toll! Weder steril noch über die Maßen aufgehübscht. Der Boden ist schief, die Treppe neigt sich und die Decken sind niedrig. Genau nach so etwas habe ich die ganze Zeit gesucht. Dass sich in Ansätzen nachvollziehen lässt, wie das Leben dort so war.
Gewidmet ist das Haus den Frauen des 17./18. Jahrhunderts. Malerinnen, Schriftstellerinnen, Abenteuerinnen etc. Ich war überrascht, wieviele Frauen es damals schon gab, die sich ‚getrauten‘, ihre ihnen zugedachte Rolle zu ignorieren und das zu machen, was sie machen wollten.
Ein Highlight war für mich wieder einmal die Bibliothek. Voller alter Bücher, teilweise aus dem 16. Jahrhundert, lädt sie ein, sich hinzusetzen und loszulesen und zu denken.
Heute ist in Chawton House das Centre for the Study of Early Women’s Writing, 1600-1830 untergebracht. Allein um dort arbeiten zu dürfen, würde ich mich in ein Studium der englischen Literatur stürzen.
Und dann gab es ja noch den Park, der Austen möglicherweise zu Passagen ihrer Bücher inspirierte. Er ist weitläufig, schön, wenig angelegt und ich bin sicher, dass sich auf einer der Bänke herrlich kontemplieren und schreiben lässt.
🥳 Fun fact (ja, ich habe mal wieder einen):
Im Zuge von Renovierungsarbeiten fand man unter dem Steinboden des ‚Wohnzimmers‘ eine Flaschenpost aus dem Jahre 1868, die einer der Enkelsöhne Edward Austens dort versteckt hatte.







